Neben den zahlreichen Siedlungsbauten, die Leopold Fischer während seiner Zeit in Anhalt errichtet hat, entwarf er eine freistehende Villa für eine befreundete Modistin. Errichtet wurde das Haus, das heute den Namen seiner Bauherrin Hedwig Liebig trägt und daher als „Villa Liebig“ bezeichnet wird, im damals neu gegründeten Villenviertel der Stadt Dessau.
Mit der einsetzenden Industrialisierung um 1855 entwickelte sich Dessau zur Jahrhundertwende zu einer aufstrebenden modernen Industriestadt. 1923 wurden die benachbarten Dörfer eingemeindet und die dazwischen liegenden Freiräume als Bauland ausgeschrieben. In einem Werbeprospekt aus dem Jahr 1928 wird das Gebiet, auf dem die Villa Liebig in den Jahren 1927/28 gebaut wurde, wie folgt beschrieben: „Das westlich des Hauptbahnhofes gelegene Gelände, die so genannte Georgenbreite, ist seit dem großen Kriege (Anmerkung: gemeint ist der Erste Weltkrieg) einer der Hauptschauplätze der gewaltigen Bautätigkeit, die die Stadt Dessau auszeichnet. Als Verbindung zwischen dem bisherigen Stadtkerne und dem Vorort Ziebigk wie der großen Siedlung Hohe Lache kommt diesem Stadtteil eine besondere Bedeutung zu, wie andererseits seine Lage am großen, alten Georgengarten ihn für vornehme Villenbebauung sonderlich geeignet sein läßt. Eine der jüngsten Straßen dieses Viertels ist die Kleiststraße, deren Bauten fast sämtlich den Jahren 1927 und 28 ihr Entstehen verdanken. Diese Villenstraße liegt zwischen zwei Verkehrsadern, der Erbprinz Leopold-Allee und der Seminarstraße, bezw. Herzogin Marie-Platz, still für sich.“[2]
Die verwitwete Modistin Hedwig Liebig, geb. Kühnelt (1872 – 1959), beauftragte den befreundeten jungen Chefarchitekt des Anhaltischen Siedlerverbandes Leopold Fischer (1901-1975) mit dem Bau des Wohnhauses, in dem sowohl die privaten Räumlichkeiten als auch ihr Schneidersalon und Mädchenzimmer untergebracht werden sollten. Die Villa wurde somit nach den Ansprüchen und Erwartungen der Bauherrin in einer architektonisch modernen Formensprache konzipiert.